In der Provinzhauptstadt Mbandaka

Wir liehen in Lolanga einen Außenbordmotor für unser Boot, aber wir hatten kein Geld, um Benzin kaufen zu können. Einen Liter hatten wir, den haben wir verwahrt, bis wir Mbandaka abends sehen konnten, so konnten wir dann wenigstens würdevoll am Hafen anlaufen und brauchten uns nicht zu schämen.

Pastor Bokeka ist wirklich kein Spezialist für Planung und Organisation, aber er hat die Gabe der Freundlichkeit. Selbst, wenn er schimpfte, machte er das noch freundlich. Am besten hat mir gefallen, dass er überall ein freundliches Wort für die Kinder hatte. Er liebte seine Veronique, die auch in seinen schlimmen Zeiten, bevor er Christ wurde, immer zu ihm gehalten hatte. Und er liebte Jesus, der ihm einmal ein neues Herz gegeben hatte.


Die Cadelugemeinde

In der Stadt Mbandaka habe ich viele Bekannte und es war schwierig zu entscheiden, wessen Gastfreundschaft ich in Anspruch nehmen sollte. Hier haben wir einmal die große Kirche für die Cadelu-Gemeinde gebaut und ich habe schon in fast allen Stadtteilen gewohnt.

Der Kirchbau war zuletzt so weit gekommen, dass das Dach und die Außenwände fertig waren und Gottesdienste stattfinden konnten. Man hatte Knüppel in die Erde geschlagen und lange Hölzer daran befestigt, darauf konnten die Gläubigen sitzen. Vorne standen ein Tisch und drei Stühle für Pastor und Gemeindeälteste. Die wurden aber nach jedem Gottesdienst wieder weggebracht, weil es keine Türen und Fenster gab. Armut schafft Diebe.

Aber die Gemeinde dort, hat immer weiter an ihrem Gotteshaus gebaut. Ein Altar war gemauert und der Chorraum verputzt und mit einem Zementboden versehen worden. Ein Sack Zement kostete rund 100 000 000 Zaïres, das sind etwa 20 Euro. Es war mir absolut rätselhaft, wie die Leute noch Geld für ihren Kirchbau erübrigen konnten.

Tata Njeethe arbeitete in einem Finanzamt. Vier Monate war er unbezahlt.

„Ich streike jetzt. Sie wollten mir mein Monatsgehalt, 20 000 000 Z geben, aber ich habe es erst gar nicht angenommen. Es waren vier der neuen 5 000 000 Z Scheine. Diese Scheine nehmen die Händler nicht an. Es ist offizielles Falschgeld, “

sagte er. Staatliche Gehälter waren schon lange nicht mehr gezahlt worden. Die Lehrer waren acht Monate ohne Gehalt und die Soldaten drei Monate. Die Soldaten hatten Hunger und verhielten sich entsprechend aggressiv.

Andere bettelten. Das war noch schlimmer. Wenn man sah, wie mager sie in ihren zerschlissenen Uniformen hingen, den Gürtel im allerletzten Loch, dann konnte man nur Mitleid haben.

Mbandaka ist die Hauptstadt der Provinz Équateur, Hafenstadt am Zusammenfluss von Ruki und Kongo. Aber die einst so stolze Zentrale ist jetzt eine Ruinenstadt. Im Hafen lagen außer den romantisch steinzeitlichen Einbaumbooten nur noch untergegangene Schiffswracks.

Jetzt nach den Plünderungen durch Militär und Bevölkerung sah man keine ganze Fensterscheibe mehr. Auf der langen geraden Straße nach Ekunde war nicht ein einziges Auto mehr zu sehen, aber unzählbar viele Menschen in Gummischlappen oder barfuß. Die Stadt war eine Fußgängerzone geworden.

Ein ganzes Jahr gab es schon keinen Strom. Wenn die vielen kleinen Händler an den Straßen abends überall ihre Petroleumlichter auf ihren wackeligen Verkaufständen anzündeten, hätte man das romantisch nennen können, wenn nicht das blanke Elend dahinter gesteckt hätte. Es erinnerte mich aber immer an den Altar in Taizé.

Wenn alles klappte, wurde zweimal in der Woche Wasser gepumpt. Dann sprudelte es überall in der Stadt und es gab große Pfützen, so kaputt waren die Rohrleitungen. Das ist schlimm für die Menschen einer Stadt, direkt unterm Äquator. Im Wald kann man Felder anlegen, und der Fluss hat seine Fische, aber wie die Menschen in so einer großen Stadt überleben, ist ein Rätsel.

Mata, le Vagabond du Seigneur

Natürlich wollen Weiße immer alles enträtseln. Ich habe meinen alten Freund Masebi gefragt und nach einiger Zeit hat er mir erklärt:

„Siehst du uns lebendig hier, siehst du Gott? Wenn er nicht wäre, wären wir auch nicht. Hast du in diesen Tagen jemand gesehen, der nackt war?“

„Nein!“

„Es gibt zwar magere Menschen hier, aber ich habe noch nicht gehört, dass jemand wirklich verhungert ist. Gott hält uns knapp, aber er hält uns!“

Da kann der Deutsche nur noch kopfschüttelnd staunen und versuchen, seine Fettröllchen am Bauch zu vertuschen.

Mata, den Chorsänger, fand ich als er mit einer Schleuder hinter seiner Hütte versuchte, kleine Vögel zu schießen. Vier Kinder hatten er und seine Frau. Um die Ermittlungen zu vereinfachen, fragte ich: „Wieso seid ihr hier in Mbandaka eigentlich noch nicht tot? Wieso lebt ihr noch?“ Da lachte der Gute:

„Kannst du begreifen, wie Gott die ganzen Vögel alle die Jahre am Leben hält? Sie säen nicht, sie ernten nicht, und ihr himmlischer Vater ernährt sie doch! Wenn du das begreifst, begreifst du auch, wie er uns hier in Mbandaka ernährt. Niemand hier kann dir eine andere Antwort geben.“

Mata war ja mal mit seinem Chor in Deutschland und so wurde bei ihm auch geplündert. Nachts brachen die Soldaten die Türe auf, schlugen ihn mit dem Gewehrkolben nieder, trieben die ganze Familie mit dem Gewehr in eine Ecke und nahmen alles mit, was transportabel war. „Der war in Europa, der hat sicher noch mehr“, haben sie gerufen sie und brachen die Zwischendecke auf, um zu sehen, ob oben was versteckt wäre.

Für viele waren diese Plünderungen traumatisierende Erlebnisse, selbst wenn ihnen an Leib und Leben nichts passiert war. Andere Leute hatten aber davon profitiert und manches Diebesgut konnten später gleich in der Nachbarschaft sichergestellt werden.

„Wie kommt mein Kochtopf auf dein Feuer?“

Ein tiefes Misstrauen zwischen Nachbarn ist hier und da entstanden. Ein Moped fand man nach einiger Zeit in einem 70 Kilometer entfernten Dorf. Einen Kühlschrank für Medikamente auf einer Flussinsel.

Abends war ich bei Mata zum Essen eingeladen. Es gab Gemüse, und ich dachte darüber nach, ob wohl einige der kleinen Vögel hinein gekocht worden wären. Aber so etwas, und wo die Teller und Bestecke geliehen worden sind, denkt man besser nicht im Kongo.

Übrigens gab es auch Bier. Mata gehörte ja nicht zur Cadelukirche, da wäre Alkohol verboten. Matas Gitarre, die er aus Deutschland mitgebracht hatte, hat die Plünderung überlebt, weil er sie in dieser Zeit gerade verliehen hatte.

Stolz holte er sie nach dem Essen hervor, und dann sangen alle den ganzen Psalm 103. „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Jemand sagte:

„Wir müssen unsere Seelen täglich ermahnen, Gott zu loben und nicht zu schimpfen oder zu klagen. Wir können doch auch nicht vergessen, wie viel Gutes Gott uns gegeben hat. In Europa kann man nichts von dem Gott sehen, der seine Kinder mitten in einem geplünderten Land erhält.“

Es kam mir in Mbandaka so vor, als ob man nur Geld verdienen könnte, wenn man Palmwein und selbst gebrannten Schnaps von den Insel importierte oder eine neue Sekte gründete. Es gab bestimmt viel mehr Kirchen, Kapellen, Sing-, Tanz-, Lobpreis-, Buß- und Gebetshöfe in der Stadt, als Kneipen und Bordelle.

Diese Feststellung ist geschätzt, ich habe nicht alles aufsuchen können. Fantasievolle Namen, viel Lärm, immer volles Haus und finster dreinblickende Türsteher zeichneten die Kirchen wie die Kneipen aus.

Die Glaubensbewegung: Groupe de prière

Aber dann gab es noch, und das nicht nur in Mbandaka, die Groupe de prière, Charismatische Gebetsgruppen. Einige Kirchen hatten es geschafft, diese Gruppen in ihr Gemeindeleben zu integrieren. Das ging nicht problemlos, weder bei den Evangelischen noch bei den Katholischen.

Sie waren aber meistens für alle Beteiligten eine Bereicherung. Die Konservativen bekamen etwas neuen Wind und die Progressiven ein bisschen mehr historisches Fundament.

Es gab aber auch solch wild wuchernde sektiererische Bewegungen, die bei bestem Willen in keine etablierte Kirche hineinpassen konnten. Natürlich war es nicht zu vermeiden und ich habe mich auch nicht so sehr gesträubt, dort mit hineingezogen zu werden.

Wir versammelten uns am frühen Nachmittag unter einem Stück Wellblechdach auf einem Hof. Es war viel zu heiß und die Singerei und Beterei schleppte sich lange und lahm dahin. Einige Leute berichteten in persönlichen Zeugnissen von Gebetserhörungen und andere prophezeiten allerlei, was ich auch hätte prophezeien können. Es gab finstere Traumdeutungen und ich schwitzte und wir saßen auch viel zu dicht unter dem glühenden Dach.

Dann kam der Prediger, ein Maurer und Katechist aus Bokiaka, hoch oben am Kongofluss. Er hatte in Bokiaka eine bewundernswerte Kirche gebaut. Nun wunderte ich mich nicht schlecht über seine neue Position und er war seit einiger Zeit wegen einer Gerichtsverhandlung hier in Mbandaka. Als seine Kirche damals fertig war, sind die Flusszauberer gekommen und sagten:

„Das Ding muss wieder weg. Das ist der altangestammte Platz unserer Ahnen. Wir brauchen den Platz, um dort erfolgreich die Krokodilzauber-Rituale machen zu können.“

Sie haben nicht lange diskutiert und fingen bald an, die Kirche selbst abzubrechen. Da erhob sich die gesamte evangelische Kirche wider die Zauberer und es gab eine große Schlacht mit Buschmessern und Fischergabeln und es gab einige Schwer- und viele Leichtverletzte.

In der Bibel steht, dass die Pforten der Hölle die Gemeinde Jesu nicht überwältigen werden, und so haben die Schläger der evangelischen Kirche natürlich auch gewonnen. Aber die Zauberer haben bei der Staatsanwaltschaft in Mbandaka Klage gegen sie erhoben.

Vielleicht werden wir später einmal erfahren, ob ein Gebet bei dem Staatsanwalt mehr bewirkt als Krokodilzauberei. Wenn die Zauberer den Prozess verlieren, liegt es sicher daran, dass diese evangelische Kirche auf ihrem historischen Kultplatz steht. Vielleicht haben die Evangelischen dann dem Richter auch größere Fische geschenkt als die Zauberer.

Aus diesem Grund war der Molaki jedenfalls jetzt in der Stadt und er wollte demnächst im Namen Gottes gegen diese Teufelsbande antreten. So was kann aber lange dauern, und so nutzte er die Zeit hier, um zu predigen, zu heilen und auch, Geld zu verdienen.

Er trat in einem dunkelweißen Gewand auf und hielt bald eine so Furcht einflößende, aufrüttelnde Predigt, dass niemand mehr gähnen konnte.

Danach wurde eine Matte auf dem Boden ausgerollt und ein Eimer Wasser und etwas Palmöl bereitgestellt – als Zeichen der Reinigung und der Heilung, der Vergebung und der Kraft des Heiligen Geistes.

Bedürftige setzten sich nacheinander auf die Matte, wurden mit Wasser besprengt und dann mit Öl an Stirn, Brust und auf den Händen gesalbt. Danach betete der Molaki ein sehr warmherziges und freundliches Heilungsgebet unter Handauflegung über dem Bedürftigen und ich sah, dass das den Leuten half. Es half ihnen auf jeden Fall mehr, als alle meine europäischen Ratschläge.

Als alle, die sich gemeldet hatten durch waren, wurde noch lange gesungen und Gott gedankt. Es war auch gar nicht mehr so heiß und es kam mir fast selbstverständlich vor, dass jemand hier in Zungen redete. Schade, dass ich noch eine andere Verabredung hatte und nicht bis zum Schluss bleiben konnte.

Ich habe viel über dieses Erlebnis nachgedacht. Ich glaube nicht, dass ich schnell mit diesen Menschen in einen Rhythmus kommen würde, habe aber gemerkt, dass Gottes Reich viel größer und vielseitiger ist, als dass ich es begreifen könnte. Den Molaki mit seiner Bibel und der Buschmesser-Theologie werde ich wohl nie ganz kapieren.