
Wie der Zaïre (Kongo) uns gerufen hat
Wir waren früher eine ganz normale Familie, mit zwei Jungs, Andreas und Stefan, und Pucki dem Hund. Wir hatten ein kleines Baugeschäft und waren nebenbei in der christlichen Jugendarbeit engagiert. Andreas hatte die Maurerlehre beendet und Stefan wollte mal Bauer werden.
Meine Frau Elisabeth und ich waren 45 Jahre alt und es ging uns so lange gut, bis jemand anrief und sagte, dass er 500 000 Mark hätte und eine Schule bauen wolle. Der Fehler war, dass wir nicht sofort geschrien haben: „Keine Zeit, keine Zeit!“
Die Schule sollte im damaligen Zaïre gebaut werden. Wir wussten gar nicht genau, wo das Land eigentlich in Afrika liegt, so wenig hatten wir uns für Afrika und die „Dritte Welt“ überhaupt interessiert. Damals regierte noch ein gewisser Mobutu dort und nun heißt das Land Demokratische Republik Kongo.

Die Entwicklungshilfe in Bonn wollte das Schulprojekt finanzieren, wenn sich denn ein Baufachmann fände, der das Projekt technisch und finanziell abwickelte. Ich sollte mauern und Elisabeth die Abrechnung für das Ministerium machen. Die Entwicklungshilfe finanzierte und die Vereinte Evangelische Mission (VEM) sollte der offizielle Arbeitgeber werden.
Es begann eine komplizierte und lange Geschichte, in dessen Verlauf Elisabeth und ich französisch lernen – unsere erste Fremdsprache. Was in dieser Zeit alles passierte und dass wir zuletzt wirklich unsere Arbeit, unser schönes Haus mit den Blumen, den Hund und alle Freunde und vor allem unsere Kinder verlassen haben, das hat uns ganz sicher gemacht, dass Gott und kein anderer das so wollte und auch so gemacht hat.

Am 17. Juni 1982 bestiegen wir in Antwerpen ein Schiff und zwei Wochen lang haben wir die Kopfkissen nass geheult, vor Heimweh nach unsern Kindern. Eigentlich hatten wir gedacht, mal eben die 500 000 Mark zu verbauen und nach einem Jahr wieder zurückzukommen, aber wir haben zehn Jahre in diesem fernen Land gearbeitet und Lehrlinge ausgebildet und über 20 Kirchen und andere Gebäude erstellt.
Danach bat mich die Mission, Kirchengemeinden und Gruppen in Deutschland über die Arbeit zu informieren. Wir kehrten nachhause zurück – aber nicht für immer.
Die erste Reise nach dem Krieg
Als der erste Bürgerkrieg und eine Welle schwerer Plünderungen hinter den Menschen Zaïre/Kongo lagen und die meisten evangelischen Missionare geflüchtet waren, bin ich von der VEM gebeten worden, die Christen in der Äquatorregion zu besuchen, um durch meinen Besuch zu zeigen: „Ihr seid nicht vergessen, weder von der Mission noch von Gott!“.
„Du kennst die Sprache und die Mentalität der Menschen, kannst durch einen Fluß schwimmen, kannst mit Moskitos kollaborieren und im Ernstfall solch ein böses Gesicht machen, dass jemand denken könnte, du würdest ihm gleich eine runterhauen“
Mit diesen Worten schickte mich die VEM erneut auf den Weg. Ich habe zugesagt, aber Angst hatte ich doch. Früher, als in Zaire noch Frieden war, hatten wir es höchstens mal mit Banditen zu tun.
Als der Reisetermin dann feststand, konnte der Flugplatz in Kinshasa wegen der Beschädigung durch die Kämpfe noch nicht angeflogen werden. Man könnte aber im Nachbarland, in Kongo-Brazzaville, gleich auf der anderen Flussseite landen, hieß es. Von dort aus sollte eine Fähre über den Kongostrom nach Kinshasa fahren.
Es gibt Leute, die fliegen gern
Bei dieser Reise war ich so zweigeteilt wie nie zuvor und der Flugplatz in Düsseldorf wurde zu einem Ort, an dem die Beine irgendwo hingingen, wo der Kopf gar nicht hin wollte. Wenn nur dieses Abschiednehmen mit den letzten hohl klingenden Worten nicht wäre.

Als ich endlich eingecheckt hatte, wurde ich etwas glücklicher, denn ich hatte 55 Kilogramm Gepäck durch die Sperre gebracht. Das viele Geld war sicher im Gürtel in der Unterhose und ich markierte Kraft. So wie man viele tausend US-Dollar in der Unterhose verdrängen kann, wird man wohl auch seine Angst aus dem Gesicht verdrängen können, dachte ich.
In Genf, beim Umsteigen, kam der nächste Schock, denn sie erzählten mir:
„Sie wissen doch, dass wir heute nicht nach Brazzaville fliegen können? Dort sind wieder politische Unruhen ausgebrochen und es gibt im Moment schwere Straßenkämpfe und eine Ausgangssperre. Unser Flugzeug darf und kann dort im Dunkeln nicht landen. Wenn Sie aber unbedingt jetzt nach Brazzaville wollen, wir fliegen heute nach Libreville in Gabun und dort erfahren wir, ob es morgen möglich ist in Brazzaville zu landen.“
Meine Beine gingen also schon wieder dahin, wo der Kopf nicht hinwollte. Aber in dem schönen Schweizer Flugzeug habe ich dann Davids Psalm 27 gelesen:
„Du bist meine einzige Hilfe. Jetzt verlass mich aber auch nicht und nimm deine Hand nicht einen Augenblick von mir. Mein Gott und mein Heil“.
Schön, wenn jemand so was schon mal vorgebetet hat und man in aller Aufregung nicht selbst solche Worte erfinden muss.
Dann war aber Schluss mit beten, denn in dem Flugzeug schienen überwiegend Selbstmordkandidaten zu sein, die versuchten, sich in Rekordzeit mit Whisky so weit zu betäuben, dass sie nicht mehr merken konnten, ob oder wo wir landen würden.
Es gab nur ganz wenige Weiße, und die waren ganz still. Als aber der dunkle Teil der Passagiere merkte, dass ich Lingala sprach und wohl mehr zu ihnen gehörte, musste ich nicht nur mitsingen. Nach meinen damaligen Erfahrungen, kann ich sagen, dass Whisky wirklich gegen Angst und Heimweh hilft.
Etwas schwierig gestaltete es sich dann später im Hotel in Libreville, mutterseelenalleine ein Zweibettzimmer zu belegen – und alle neu gewonnenen Freundinnen loszuwerden.
In Brazzaville war gar kein Frieden
Wir sind am nächsten Morgen wirklich nach Brazzaville gekommen und plötzlich waren alle Passagiere auffallend still. Manche hatten wohl Kopfschmerzen und sahen trotz schwarzer Haut etwas blass aus. Ja, auch Afrikaner können schon mal blass werden. Whisky ist schlimm am nächsten Morgen.
Meine Beterei hatte geholfen, denn Tata Ikedji, ein Vertrauensmann der VEM war tatsächlich am Flugplatz und er besorgte ein überwiegend gelbes Taxi. Ich hörte kaum Schüsse fallen, aber nie habe ich in so viele und so unsympathische Maschinengewehrläufe sehen müssen, wie auf dieser Fahrt vom Flugplatz zum Hafen.
Überall in der Stadt gab es Barrikaden mit Granatwerfern und anderen Totmachapparaten. Mal mussten wir hinter einem Haus durch den Garten fahren, um Barrikaden zu umgehen. Aber wir sind unversehrt durchgekommen, und die Fähre kam spät und rostig über den Fluss geschwankt.
Wenn ein Christ am Zoll sitzt
Das treue Ding war schon fast in Kinshasa angekommen. Es fehlten höchstens noch anderthalb Meter, da sprangen die Soldaten erst auf die Fähre und dann auf mich. „Wo ist der Fotoapparat?“ schrien sie mich an. Jemand hatte wohl während der Überfahrt mit dem Fernglas gesehen, dass ich die schöne Skyline der Stadt fotografiert hatte. Als sie anfingen, an meinem Seesack herumzufummeln ging das in ein böses Gerangel und eine Fingerklopferei über. Ikedji wollte mir helfen, aber sie waren in der Überzahl.

Da tauchte plötzlich ein Beamter in zivil auf und alle erstarrten, auch die weiße Hand am Gelenk einer schwarzen Hand, die versuchte die Seesackverschnürung zu lösen. Wir gingen alle die Treppe zum Büro des Zivilisten und ich war plötzlich und ohne Händefalten am Beten:
„Lieber Gott. Wenn sie mir jetzt schon den Fotoapparat abnehmen, wo ich noch kaum einen Fuß auf dieses Land gesetzt habe, was werden sie mir dann in den drei Monaten hier und auf meinen Reisen im Dschungel noch alles abnehmen?“
Im Büro bekam ich einen wackeligen Stuhl und die Gelegenheit, nicht nur meine Bekehrungsgeschichte zu erzählen. Ich sagte auch, dass ich nach Mbandaka und Basankusu will, um dort die Christen zu besuchen in ihrer Einsamkeit und Armut, nach den Plünderungen und Unruhen.
„Ich will in Europa einen Reisebericht abgeben, ob wir hier wieder helfen können. Wenn man mir aber hier jetzt schon den Fotoapparat abnimmt, kann mein Bericht ja nur negativ ausfallen!“
Das war das Ende meines Plädoyers. Da sagte dieser schöne Mensch zu mir:
„Du bist der erste Weiße, der Mitleid hat und wieder hierher kommt, um zu sehen, wie es uns hier geht. Ich bin auch Christ. Gott möge dich auf deiner Reise bewahren. Geh in Frieden und pass demnächst ein bisschen besser auf, wo du fotografierst.“
Ich habe später darüber nachgedacht, dass ich danach auf meinen Reisen in drei Monaten, bis Opala, ganz im Osten, da, wo die Sonne wirklich eine Stunde früher aufgeht, nicht einem einzig, wirklich bösem Menschen begegnet bin. Schön, solch ein wirkungsvolles Segenswort von einem Zollbeamten.
Kinshasa, die Stadt der Gottesdienste
Einen wunderschönen Psalmvers habe ich abends in Ikedjis Hütte gelesen. Ich habe ihn längst vergessen, aber er war so schön, weil der Text genau dahin passte. Dann werden Bibelverse lebendig, wenn sie mit den Tageserlebnissen zusammen passen.
Ikedjis Hütte steht im Stadtteil Yolo in der Avenue Bambelota. Das Gebäude mit dem Hof gehört der Kirche. Über den Abwassergraben führte eine kleine unberechenbare Brücke, und als wir durch das quietschende eiserne Tor gegangen waren, bekam ich es zuerst mit aller Freundlichkeit und den Umarmungen von Mama Bea zu tun.

Dann kamen die anderen. Drei Familien hausten hier dicht gedrängt. Die Kinder waren noch schüchtern im Hintergrund. Aber als ich Mama Bea umarmt hatte und Luftballons aus der Tasche zog, war diese Zurückhaltung vergessen.
Ich schlief im oberen Teil von Samis Stockbett, weil Sami behindert ist und mal Kinderlähmung hatte. Dann zeigten sie mir auch am Ende des Hofs jenen Ort, den wir Europäer die Sanitäranlagen nennen würden. Wenn das Wasser käme könne ich dort auch duschen, sagten sie.
Samis Moskitonetz hatte viele Löcher, und ich habe oft und in kleinen Stückchen geschlafen. Auf diese Dünnbettmatratzen musste ich mich auch erst einstellen.
Die Stadt Kinshasa sah noch ziemlich verwüstet aus und ich sah allerlei Einschusslöcher. Aber das Leben ging weiter, auch ohne Schaufensterscheiben. Es sah so aus, als würden nur Kneipen und Kirchen und kirchenähnliche Organisationen richtig funktionieren.

Im Stadtteil Yolo gingen wir am Sonntag keine hundert Meter weit und schon sahen wir in einem Hof, wie Leute sangen oder beteten oder beides. Manche schrien durch riesige Lautsprecher:
„Bekehrt euch, ihr Sünder! Das Ende kommt!“
Andere machten auch ohne Lautsprecher Krach genug. Wieder andere schienen Schweigestunden im Gebet, kniend auf der Erde zu verbringen oder lasen laut Bibelstellen.

Es gab Kirchen, deren Gottesdienste sich alleine in Tänzen äußerten. In anderen Gemeinden taumelten Menschen in Ekstase herum und schienen zu weissagen. Man könnte neugierig werden bei all den kirchlichen und sektiererischen Sing-, Tanz-, Trommel-, Predigt-, Heil-, Droh- und Gebetsveranstaltungen. Ich bin ganz sicher, dass es auf der ganzen Welt keine Stadt gibt, wo mehr gebetet wird, als in Kinshasa.
La fête
Abends fuhr ich mit Ikedji in einem Fulafula-Bus. Der ist wie eine riesige Konservenbüchse für Menschen, auf ein MAN-Fahrwerk mit einem Teil-Führerhaus geschweißt.
Die Afrikaner nehmen darin eine unbegrenzbare Zahl Menschen auf, und wenn alles klappt, transportieren sie dich auch. Oben, unterm Dach sind Löcher, durch die jene Passagiere, die an der Seite stehen, atmen können.
Wir landeten zuletzt auf einer tierischen Fête unter einem wunderbaren Sternenhimmel und höllisch lauter Kinshasamusik. Nicht alleine um den ewigen landes- oder kirchenpolitischen Diskussionen zu entgehen, die man wegen des Lärms sowieso nur brüllend führen konnte, tanzte ich, schrecklich schwitzend, so gut ich überhaupt kann, mit einer riesendicken schwarzen Mama.

Während der Zwischenstops plünderten wir das gewaltige Büfett. Im Kongo gibt es schon viele leckere Sachen und das Primusbier schmeckt auch nicht schlechter als früher. Aber beim Essen und Trinken war die Mama echt schneller als ich. Einfach unschlagbar.
Es gäbe noch viel Schönes aber auch Trauriges und sogar Ärgerliches zu erzählen, aber alles kann ich nicht und manches darf ich auch nicht erzählen. Ich wollte ja nicht in dieser Stadt bleiben. Ich wollte so bald wie möglich weiter nach Basankusu fliegen.
Beten lernt man am besten In der CAA
Tata Ikedji hatte Beziehungen, und die Compagnie Aérienne Africain (CAA) war eine ganz neue Fluggesellschaft mit ganz alten Maschinen. Wir flogen auch von dem alten Flugplatz in der Stadt aus, wo ein schrecklich Unfall passiert war: Eine schwere Militärmaschine war über das Rollfeld hinausgerast, direkt in einen Wochenmarkt mit vielen hundert Menschen.
Dieses Flugzeug von der CAA gefiel mir überhaupt nicht. Wegen mir brauchten sie es ja nicht zu putzen, aber dass so viel Öl aus einem Triebwerk tropfte und die Sitze so zerfetzt und verdreckt waren, das störte mich.

Es gab auch noch eine harte Diskussion zwischen der Stewardess und einem Gepäcklader, barfuß und mit nacktem Oberkörper. Sie sagte:
„Geh jetzt raus, wir wollen gleich abfliegen!“
„Ich will mitfliegen, wenigstens ein Mal! Ich arbeite hier für dich, und da wirst du mich auch einmal mitnehmen können, “
knurrte er. Sie antwortete mit bösen Wörtern drauf, aber zuletzt zeigte sie ihm ganz hinten einen Platz, wo er stehen konnte. Da war er glücklich, und sie hatte ihre Ruhe.
Ich saß ziemlich vorne und hatte den Überblick und fand es zuerst auch ganz nett, dass keine Türen zwischen Kabine, Gepäckraum und Cockpit waren. „Da kannst du wenigstens sehen, was dein Seesack unterwegs macht“, dachte ich. Aber, als dann der Pilot einstieg, unrasiert und mit einer Flasche Bier in der Hand, wäre mir eine Tür doch lieber gewesen.
Am meisten machte mich nachdenklich, dass das ein Weißer war. Da war es ziemlich sicher, dass der in Europa oder Amerika keine Lizenz mehr hatte, sonst wäre er sicher nicht hier. Als er dann anfing, an den vielen Knöpfen unregelmäßig herumzudrücken und zu drehen, fing ich mein Gebet an:
„Lieber Gott bewahre mich doch bitte vor diesem Flug. Lass diese Kiste doch bitte jetzt nicht anspringen. Es passiert bestimmt was unterwegs.“
Gott hat dieses, mein Gebet nicht erhört, obwohl es für ihn sicher viel einfacher gewesen wäre. Erst bewegte sich ein Propeller und dann auch der andere. Es brummte furchtbar und wir fuhren wirklich auf die Piste hinaus und hoben auch ab. Gottes Wege sind oft unverständlich. Die Sachen im Gepäckraum wackelten hin und her und der unsympathische Pilot nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Uns würdigte er aber keines Blickes. Ich saß wie gelähmt auf meinem Sitz und wir kamen bis Mbandaka, wo wir holpernd wieder Bodenberührung bekamen, ohne tot zu sein.
Als die Mbandakaleute anfingen, im Gepäckraum rumzuwühlen, wurde ich sehr wachsam, aber mein Seesack blieb an Bord. Einige Leute stiegen aus, aber viel mehr stiegen wieder ein. Die Stewardesse wollte den Passagierstrom abbremsen, wurde aber zur Seite gedrängt. „Wir haben ein Ticket gekauft und wir fliegen jetzt auch mit!“ bekam sie zu hören. Ihre Rufe wurden überhört.
„Das hier ist schließlich kein Fulafula-Bus, oder eine Straßenbahn, wie in Europa, wo es Stehplätze gibt. Alle müssen, vor allem beim Start, sitzen“, erklärte sie.
Auf der rechten Seite hatte das Flugzeug Einzel- und auf der linken Doppelsitze. Da mussten sich immer drei Leute auf einen Zweiersitz setzen. Am Ende waren vier Passagiere übrig und die brachte die Stewardess dazu, erst mal auf dem Boden Platz zu nehmen. „Nur beim Start und später bei der Landung“, versicherte sie ihnen.
Keiner kann sich vorstellen, welch einen furchtbaren Anlauf die arme überladene Maschine nun nahm. Ich sah durch die Cockpitfenster schon am Ende der Piste die Bäume, aber wir schlichen dann doch so eben über die Wipfel dahin und kamen immer höher und ich fing schon langsam an, mich über Gott und seine Heerscharen von Schutzengeln zu wundern.
Irgendwann habe ich dann doch aus dem Fenster gesehen. Dieser unendliche Urwald, wie ein Teppichboden, der irgendwo am Horizont unsichtbar wird. Dunkle Flecken, von den Wolkenschatten darauf. Da kann es einem selbst in solch einem Flugzeug passieren, dass man sich selbst und alle primitiven und engen Umweltschutzideen vergisst und wieder mal eine Ahnung von Gottes Schöpfung bekommt. Dann sah ich den Ikelembafluss, Kurve an Kurve, als ob er betrunken wäre. Von hier brauchten wir früher mit dem Auto nur noch 200 Kilometer, um nach Basankusu zu holpern. Da habe ich auf einmal solch eine Vorfreude auf Basankusu bekommen, dass mir die ganze CAA absolut egal war. Ich hätte vor lauter Freude schon aussteigen können. Ich wunderte mich über mich selbst. Es konnte jetzt ja auch nicht mehr viel passieren, denn runter waren ja noch alle Flugzeuge irgendwann gekommen.

Irgendwann habe ich dann doch aus dem Fenster gesehen. Dieser unendliche Urwald, wie ein Teppichboden, der irgendwo am Horizont unsichtbar wird. Dunkle Flecken, von den Wolkenschatten darauf. Da kann es einem selbst in solch einem Flugzeug passieren, dass man sich selbst und alle primitiven und engen Umweltschutzideen vergisst und wieder mal eine Ahnung von Gottes Schöpfung bekommt. Dann sah ich den Ikelembafluß, Kurve an Kurve, als ob er betrunken wäre. Von hier brauchten wir früher mit dem Auto nur noch 200 Kilometer, um nach Basankusu zu holpern. Da habe ich auf einmal solch eine Vorfreude auf Basankusu bekommen, dass mir die ganze CAA absolut egal war. Ich hätte vor lauter Freude schon aussteigen können. Ich wunderte mich über mich selbst. Es konnte jetzt ja auch nicht mehr viel passieren, denn runter waren ja noch alle Flugzeuge irgendwann gekommen.
Basankusu, der Himmel

Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es solch Äquator-heiße Begrüßungen auf der staubigen Flugpiste. Diese schwitzigen Umarmungen und die nicht enden wollenden Segenswünsche. Niemand auf der Welt könnte oder wollte überhaupt so lange leben, dass auch nur die Hälfte aller dieser Segenswünsche in Erfüllung gehen könnte. Die Empfänge, die ganze Woche hindurch und alle Begrüßungen und Segnungen, Sprüche und Wünsche waren einfach zu viel für mich.
Also nahm ich mir nicht alles zu Herzen und ließ es mehr oder weniger über mich ergehen. Genossen habe ich es aber doch. Die ganze Welt schien sich über mich und meine Ankunft zu freuen. Selbst wenn der Papst gekommen wäre, hätte man nicht für mehr Spektakel gesorgt. Ob Soldaten, Leute vom Sicherheitsdienst, die Flugplatzmannschaft: Alle beteiligten sich an der Begrüßungszeremonie und versuchten mich irgendwo zu berühren.

Ich meinte, dass einige auch auf mein kleines Gepäck geschielt hätten und, dass sie rätselten, wie in solch einen kleinen Seesack für so viele Menschen jeweils ein Geschenk passen könnte. Sicher quälen sich nur Weiße mit solchen Hintergedanken herum.
Es war einfach nur Wiedersehensfreude. Die ganze Gemeinde mit einem Chor in Gewändern war angetreten. Erst ein Lied, dann ein Gebet, aus dem Deutsche fünf gemacht hätten. Dann die Umarmerei, bis mir alles wehtat. Aber einige hatten auch Tränen in den Augen und bei einigen konnte ich mir das Nasehochziehen auch nicht verkneifen. Es gab zu viel aus alten Zeiten, was uns miteinander verband. Man sagte mir, dass die Jungs von der Bautruppe 300 Kilometer weiter in Penzele arbeiten würden. Wenn Gott es zulassen würde, sollte ich doch versuchen, sie zu erreichen. Sie würden sonst sehr traurig sein.
Basankusu liegt am Zusammenfluss von Maringafluss und Lopori, die dann als Lulonga weiter fließen, bis alles in den Kongostrom mündet. La ville de Basankusu ist hier weit und breit die einzige Stadt.

Das heißt: Es gibt hier eine Flugzeugpiste, wo Propellermaschinen landen und meistens auch wieder starten können, eine Art Kreisverwaltung und eine Mauer am Fluss mit einem kaputten Schuppen, wo Schiffe in der Regenzeit, wenn genug Wasser da ist, anlegen und entladen werden können.
Es gibt eine schöne katholische Mission mit Funkgerät und Internetanschluss, einige feste Häuser, das Hôpital und das Gefängnis aus der Kolonialzeit, die beiden Kirchen, die wir gebaut haben und jede Menge Lehmhütten. Teerstraßen, Strom, Fernsehempfang gibt es nicht, aber es gibt hier wirklich schöne Menschen.
Die allerschönsten Menschen gibt es aber in unserm Dorf Ikau, wo ich zuhause bin. Sechs oder achteinhalb Kilometer entfernt, je nachdem, von wo aus man messen will. Es ist ein historisch wichtiger Ort, weil hier die ersten evangelischen Missionare hingepinkelt haben. Hier hatten wir damals auch gebaut, aber ich wollte jetzt überall ein bisschen wohnen.
Es gab noch ein Auto womit ich nach Ikau transportiert wurde. Und da ging alles wieder von vorne los. Nur noch viel, viel herzlich-heißer. Eine Oma zitterte vor lauter Freude am ganzen Körper und weinte. Und dann sagte sie auf einmal:
„Ach, wenn man doch so sterben und eine Ewigkeit in solch einer Freude bleiben könnte.“
Sie hatte recht: Das wäre dann wirklich schon Himmel. Da waren wir allerdings noch nicht, denn ich sah auch, wie mager und verwahrlost manche Kinder waren. Auch, dass die Gesundheitsstation geschlossen war. Und später wurde ich noch ganz traurig, denn um die Alten ohne Familie kümmerte sich niemand mehr. Sie mussten wieder betteln. Wir hatten Jahre zuvor etwas wie ein kleines Altenheim aufgebaut.
Aber alle jubelten:
„Unser großer Gott hat uns wunderbar in allen Krisen bewahrt, und nun hat er dich auch noch hier her zurückgebracht.“
Es gab anscheinend nur einen einzigen Wehrmutstropfen: Elisabeth war nicht mitgekommen. Tata Samuel, mein wirklicher Bruder und ehemaliger Hausboy, war auf einem Auge ganz blind geworden und das andere machte ihm viele Schmerzen. Sein ganzes Gesicht war entstellt.
In der Kirche sprach ich dann mein Grußwort:
„In Europa haben wir so viel von euren Problemen gehört, da bin ich gefragt worden, ob ich nicht mal zu euch fahren wolle, um zu zeigen, dass ihr weder bei euren Glaubensgeschwistern in Europa und bei Gott schon gar nicht vergessen seid. Zuerst wollten die Deutschen einen lieben Brief schreiben, aber dann meinten sie, dass ich fahren sollte und euch selber grüßen. Darum bin ich jetzt hier!“
Beifall, Segensgebete, Chöre ohne absehbares Ende.
Geistergeschichten aus Ikau
Tata Samuel und Mama Céline wohnen nicht weit von Ikau, in Bombeka, dort, wo immer die Krokodilzauber gemacht wurden. Das waren geheimnisvolle Rituale und ich habe da nie durchgeblickt. Einmal hat unser dicker schwarzer Pastor Benji zu mir gesagt:
„Du mit deiner Frau, ihr lebt hier so mitten zwischen uns, und es ist nun an der Zeit, dass ich dir die ganze Sache einmal von Grund auf erkläre.“
Darauf habe ich dann gesagt:
„Ich will davon überhaupt nicht wissen. Ich will nachts ruhig schlafen können. Ich weiß schon viel zu viel. Nachher spinne ich so wie ihr. Wenn aber mal was Spezielles ist, will ich dich gerne fragen.“
Wenn so was los ging konnte man die Angst und den Hass im Dorf regelrecht auf der Haut spüren. Dann wurde wieder jemand besprochen, und man wusste nie, wann und wie er später starb. Einmal ertrank ein Junge bei der Insel vor Bombeka, da hat die Polizei doch den guten Tata Samuel verhaftet und beschuldigt, das Krokodil dahin geschickt zu haben, das dann den Jungen umgebracht hätte.

Drei Tage und Nächte war Samuel im Gefängnis, dann wurde er mangels Beweise freigesprochen. Ich werde nie vergessen, mit welch einer Freude er damals aus dem furchtbaren Verlies kam und rief:
„Ich habe ununterbrochen gebetet, und sie haben mich nicht einmal geschlagen!“
Die Familie des Jungen ist aber aus Angst weggezogen. Unsere Position mitten in diesem Alltag ist irgendwie immer unklar gewesen. Pastor Benji hat mich früher auch mal gefragt, ob wir einer armen Frau mit sechs Kindern nicht eine kleine Zweizimmerhütte bauen könnten. Da habe ich erst mal gefragt, ob die denn keinen Mann habe, der ihr eine bauen könnte.
„Nein, der Mann ist vom Krokodil gefressen worden, gerade bei der großen Sandbank, wo ihr abends immer hin schwimmt“
war seine Antwort. Damals hatte ich noch keine Krokodile in unserm Fluss gesehen und ich fragte etwas ängstlich:
„Tata Benji, gibt es denn wirklich Krokodile, und du lässt uns einfach dort schwimmen?“
Ich war bestürzt, aber Tata Benji meinte locker:
„Diese Krokodile fressen keine Gotteskinder, und Weiße schon mal gar nicht! Schwimmt ihr mal ruhig weiter!“
„Und der Mann?“ wollte ich wissen.
„Der Mann ist tot! Willst du der Frau die Hütte bauen, oder nicht.“
Weil Elisabeth und ich ja gläubig sind, haben wir uns damals entschieden, weiter zu schwimmen. Wenn unser Glaube vielleicht eines Tages mal nichts taugen sollte, müssten wir dann wohl dran glauben. Wahrscheinlich wissen nur Krokodile ganz genau, wer gläubig ist, oder wer dran glauben muss.
Ja, das Christentum ist hier noch nicht so alt und abgestanden wie in Europa. Hier passieren jetzt noch biblische Geschichten, die man in Europa nicht gerne glauben will, wie Bileams Esel, Jonas Fisch oder die Schweine mit den Geistern eines Besessenen. Klar ist, dass die Menschen die Bibel hier anders lesen als in Europa.
Die Geister der Ahnen wurden hier früher wie Götter verehrt. Man baute ihnen Hütten, in denen ihnen Opfer gebracht wurden – von Hühnern bis Hunden. Es gab auch noch ganz andere Opfer, aber darüber sprachen die Menschen nicht gerne. Diese Opferhütten waren nicht mit den heutigen Kirchen vergleichbar und einfache Menschen durften sie nicht betreten – nur der Ngangankisi, der Zauberer.

Die Zauberer waren nicht alle schlecht. Es gab welche, die nachts Gesichter hatten und weissagen konnten. Sie konnten den Leuten gute Ratschläge geben. Andere hatten die Gabe, Kranke zu heilen und depressive Geister und Gedanken zu vertreiben. Manche nutzten aber auch ihre übernatürlichen Kräfte, um Leute zu töten.
Andere Bewohner hatten Kontakte zu Tieren, zum Beispiel zu einem Krokodil. Das Krokodil half seinem jeweiligen Freund, viele Fische zu fangen. Solche Leute fingen immer erheblich mehr Fische als andere.

Solch ein Mensch konnte aber auch das Krokodil beeinflussen, einen unliebsamen Nachbarn zu töten. Dessen war der alte Samuel damals verdächtigt und glücklicherweise später freigesprochen worden.
Es gab Menschen auf dem Festland, die ein Medium für Waldtiere waren, und es gab schlimme Geschichten über Zauberelefanten, Leoparden und Schlangen. Schlangen spielten eine ganz große Rolle auf dem Festland. Ein Medium für eine Schlange hatte garantiert immer mehr Geld als die Nachbarn.
Bei diesen ganzen Geschichten ging es ja nicht so sehr darum, was die Leute glaubten. Es ging darum, was passierte. In einem kleinen Dorf, in dem jeder jeden kennt, kann man ja schnell sehen, ob etwas Spinnerei oder Wahrheit ist.
Pastor Benji und das Benzinwunder
Pastor Benji lebt nicht mehr. Er war derjenige, der immer genau gewusst hatte, wen die Krokodile fressen würden und wen nicht. Er war mit seinem Bauch ein echter Kugelpastor. Auch von hinten war er zum kugeln. Wenn er auf seiner Vespa saß und man fuhr hinter ihm her, war da von seinem runden Kopf an über die Schultern bis runter zu den runden Motorverkleidungen der Vespa eine Rundung an der anderen.
Er war Oberpastor und damals einer der angesehensten Menschen in der CADELU-Kirche. Zu uns war er immer wie ein wirklicher Vater. Mit Mathematik hatte er es nicht, aber in allen anderen Fragen konnte er Rat geben. Wenn man mal wieder Ärger mit der Polizei, oder dem Sicherheitsdienst hatte, und Benji sagte: „Geh zu dem und dem und sage das und das“ und man befolgte seinen Rat, dann hatte man meistens Erfolg.
Ich glaube, wir liebten uns von Anfang an und er trank gerne Tee mit sechs Löffelchen Zucker bei uns. Abends ging ich öfters zu ihm. Er hatte einen großen Bambus gegen Westen an der Hütte stehen. Darunter war es abends immer angenehm kühl und wir konnten die Leute auf der Straße vorbeigehen sehen und sie konnten uns grüßen.
Wir wussten über jeden etwas und kommentierten alle. Das war schön und ich erzählte ihm allerlei Geschichten und er mir. Ich könnte sicher ein kleines Buch alleine über Benji und seine Geschichten zusammenstellen.
Einmal hatte ich ihn gefragt:
„Tata Benji. Alle Leute kommen an unsere Türe und wollen etwas von uns haben. Du bist auch nicht reich und hast noch die ganze Kirche am Hals. Du bettelst nie.“
Benji sagte dann nach einiger Zeit:
„Ich will nicht hier ein bisschen und da ein bisschen. Ich will dein Herz. Die andern sind dumm, sie wollen nur Stücke. Ich will alles! Wenn man das Herz einer Frau hat, gehören einem alle ihre Felder. Wenn ich dein Herz habe, kommst du selber und fragst mich, ob du mir nicht noch irgendetwas geben kannst.“
Aber es gab auch dunkle Punkte in Benjis Leben und er hatte ein schlechtes Ende. Das hing teilweise mit seinen sonderbaren Mathematikmethoden zusammen. Aber auch damit, dass er ein Auge für Frauen hatte. Seine Veronique war verschlissen und knurrig.
Als Tata Benji noch unser Pastor war und noch voll funktionierte, betete er Leute gesund, die ich für unheilbar hielt. Er war auch ein Prediger, den ich gerne hörte und der in Herzen reden konnte. Zudem war er manchmal ein ganz besonderer Glaubensheld.

Samstags fragte er mich, ob ich ihm kein Benzin geben könnte. Ich hatte selbst nur wenig und sagte, er solle es mal wo anders probieren. Später hörte ich ihn mit der Vespa wegfahren. Am Sonntagmorgen, gegen vier Uhr klopfte jemand, wie verrückt an unsere Haustür und schrie:
„Weißer, steh auf! Pastor Benji ist in Nsongo und hat kein Benzin. Du sollst ihn und die Vespa da sofort mit dem Auto abholen!“
„Wenn du nicht sofort dein Maul hältst und verschwindest, bist du gleich tot! Komm um acht Uhr wieder“, rief ich noch versöhnend hinter her, „ich bin noch nicht wach.“
Später bin ich dann schlecht gelaunt mit dem Toyota und samt dem morgendlichen Wecker, Richtung Nsongo gehumpelt. Wir haben Benji gefunden und die Vespa aufgeladen und knurrend habe ich den ersten Gang eingelegt.
„Wieso hast du kein Benzin?“
„Du hast mir ja keins gegeben.“
„Wie bist du denn bis hierher gekommen?“
„Ich hatte ja noch zwei Liter.“
„Du weißt genau, dass es von Ikau bis Nsongo 50 Kilometer sind, zusammen also 100 Kilometer. Jede Vespa braucht mindestens vier Liter. Wie konntest du dann mit zwei Litern überhaupt losfahren?“
Er antwortete:
„Pass auf. Ich habe zu Jesus gebetet, der Wasser zu Wein machen kann, und dann bin ich mit den zwei Litern losgefahren.“
Ich sagte:
„Siehst du jetzt, welch ein Quatsch das ist? So kann man das doch nicht machen!“
Und er antwortete:
„Wieso nicht? Hat er hat mein Gebet etwa nicht erhört? Du bist doch gekommen!“
Da macht der Weiße ein langes Gesicht und konnte noch sagen:
„Mathe 6 – Religion 1.“
Mama Marie und der Bobby vom Pastor
In Bombeka hatte die alte Marie ihre kleine Hütte gleich neben Samuels Hütte. Ihr wurden finstere Mächte nachgesagt. Eines Tages ist sie sogar von zwei äußerst evangelischen Pastorenfrauen so verhauen worden, dass ich mit Leukoplast anrücken musste. Sie sollte eine Verwünschung ausgesprochen haben und daraufhin sei das Mädchen der einen Pastorenfrau so erkrankt, dass ihr kein Arzt mehr hatte helfen können.
Ich fand, dass Mama Marie eine etwas stille, aber sonst ganz normale, freundliche schwarze Oma war. Sie war immer freundlich zu mir, und manchmal hatte ich Gelegenheit, mich ein wenig mit ihr zu unterhalten.
Sie war früher schon mal verhauen worden. Das war, als sie abends, als es schon ziemlich dunkel war, aus ihrem Feld im Dschungel kam. Da hatte sie ein Tier in einer Drahtschlinge winseln gehört. Sie dachte, dass sich da ein Bokaar (ein schwarzes Tier, groß wie ein Fuchs und sehr lecker) gefangen hätte und machte ihm mit ihrem Buschmesser den Garaus. Als der Bokaar endlich ganz still war, machte sie ihn los und warf ihn in ihren Rückenkorb und zog fröhlich damit nach Hause.
„Heute bekommen wir etwas ordentliches zu essen“, rief sie den Nachbarn zu. „Lass mal sehen, wie groß deine Beute ist“, rief der Erika, Samuels Sohn und leuchtete mit der Petroleumlampe in den Korb.
„Oh nein, oh nein, wie schrecklich. Das ist kein Bokaar, das ist Bobby, der Hund von Pastor Benji. Wenn Benji das erfährt, wird er uns alle exkommunizieren und noch schlimmer bestrafen.“
Als die Alte dann noch sagte: „Wo ist das Problem, dann essen wir eben den Bobby“, da ist sie vom ganzen Dorf verhauen worden. Das Geschrei haben wir in Ikau hören können.

Als Pastor Benji, und vor allem dessen Frau, Mama Veronique, die Geschichte hörten, haben sie sich wirklich nicht sehr evangelisch verhalten – obwohl die Bombekaleute versichert haben, dass sie den Bobby ordentlich beerdigt hätten, was ihnen aber niemand geglaubt hat. Dafür schmecken Hunde viel zu lecker, sagt man. Lange sind Benji und Veronique ihnen böse gewesen und haben sie auch nicht gegrüßt.
Zuletzt hat sich die Mama Marie im Feld, mit dem Buschmesser ganz furchtbar in den Fuß gehackt. Da wurden dann einige Blätter umgewickelt und sie humpelte weiter. Wir sind später auch noch oft mit ihr ins Krankenhaus gefahren, aber am Ende musste der Fuß amputiert werden. Aus der Narkose ist sie nicht wieder aufgewacht, weil der Doktor einen bösen Fehler gemacht hatte. So lag sie da ohne Besinnung, aber noch nicht richtig gestorben.
Abends bin ich zu ihr gefahren, um nach ihr zu sehen, ob sie noch atmete. Einmal war der Krankenpfleger betrunken und niemand hatte die Marie sauber gemacht. Da habe ich dann sehr geschimpft mit Ausdrücken, die in keinem Missionslexikon vorkommen. Da sagte dieser stinkige, fiese und besoffene Krankenpfleger zu mir:
„Was willst du Weißer? Hier ist ein Platz zum Sterben und nicht zum gesund werden. Sie stirbt eben langsamer als die anderen.“
Ich war stumm vor Entsetzen. Die andern Patienten im Krankenhaus bestürmten mich, dass ich die alte Frau doch zum Sterben nach Bombeka bringen solle. In Bombeka bedrängten mich die Leute ebenso mit Gewalt, Marie nur im Krankenhaus zu lassen. Ich ahnte Schlimmes. Schließlich starb sie im Krankenhaus.
Weil die Bombekas Angst hatten, ich wäre doch noch mit ihr ins Dorf zurückgekommen, hatten sie vorsorglich alle Kinder evakuiert. Der böse Geist der Marie würde in die Kinder von Bombeka kommen, hatten sie befürchtete. Und im Krankenhaus hatten die Leute offensichtlich auch Angst, sie würden davon befallen.
„Und nun, “ fragte ich deutsch ungebildet, „wo geht der Geist jetzt hin, wenn keine Kinder da sind? Kriege ich denn jetzt was ab?“
„Nein Weiße nicht! In die Krokodile oder Flusspferde geht der Geist natürlich!“
„Aha, deshalb sind die auch so frech, weil die ganzen bösen Geister da drin sind.“
„Genau! – Weißer, du bist lernfähig!“
Die Macht der Flussgeister
In Ikau lebte auch Esukafaya, das Flusspferd. Auf ihm lag der Geist des alten, berühmten Häuptlings Esukafaya, und es verteidigte unser Ufer gegen die Krokodile.

Wenn ich mal daran erinnerte, dass es ja auch Spinnereien auf dieser Welt gäbe, wurde ich prompt darauf hingewiesen, dass an unserm Badestrand in Ikau noch nie ein Kind von einem Krokodil gefressen worden sei.
„Ist das vielleicht Zufall, Weißer?“
„Nun gut, wenn eine Frau im Boot sitzt und ein Mädchen im Bauch hat und immer mit einer Palmnuss an die Bordwand klopft, wird sie nie vom Krokodil angegriffen. Hat sie aber einen Jungen im Bauch, ist sie sehr gefährdet, “
sagte ich, und erhielt ein Lob für meine schnelle Auffassungsgabe.
Ganz selten haben Elisabeth und ich den Esukafaya gesehen, wenn wir zur Sandbank hinüber schwammen. Aber wir haben ihn oft im Ufergestrüpp grunzen gehört. Alle Krokodile, die wir je da gesehen haben, sind immer schnell, wie ein Motorboot an unsern Sandbänken vorbeigeschwommen.
Die Leute hatten ohnehin mehr Respekt vor Flusspferden als vor Krokodilen. Krokodile fressen nur, aber Flusspferde sind aggressiv wie Kampfstiere. Wenn hinter einer Insel eine Flusspferdmutter ihr Baby bekommen hatte, konnte dort ein ganzes Jahr lang niemand mit dem Boot vorbei fahren. Die Biester hoben die Boote aus dem Wasser und zerfetzten die Menschen. Oder, wie ich unterrichtet wurde, sie brachten das Fleisch den Krokodilen und bekamen von denen ganz besonders leckeres Gras geschenkt.
„Der Geist des alten Esukafaya ist nicht nur auf dem Flusspferd, das uns hilft, er ist auch auf unserm Dorf Ikau, “ wurde ich belehrt. „Esukafaya heißt so viel, wie: Der, der die Fremden aufnimmt. Unser Dorf Ikau ist immer gastfreundlich gewesen. Oder, denkst du, dass du sonst hier einfach so im Frieden leben könntest?“
Ich antwortete: „Das nicht, aber ich bin doch auch schon mal nützlich, oder?“
Der Häuptling Esukafaya hatte früher auch die Missionare gerettet. Es gab damals schon zwei Weiße im nahen Basankusu, die sich um die Verwaltung der Kautschukzapfer kümmerten und die Menschen misshandelten. Als sie eines Tages spazieren gingen, wurden sie von zwei Mongokriegern gefragt, ob sie ihnen nicht einen großen Vogel schießen könnten. Sie antworteten, dass sie keine Waffen bei sich trügen. Daraufhin wurde sie ermordet.

Danach haben die Häuptlinge von Basankusu gesagt:
„Wir wollen jetzt keine Weißen mehr hier haben. Alle Weißen sind schlecht. Esukafaya ermorde du jetzt auch deine Missionare, damit hier wieder Friede ist!“
Esukafaya hat aber damals gesagt:
„Nein, unsere Weißen sind anders als eure. Eure Weißen achten euch nicht wie Menschen und wollen nur nehmen, unsere Weiße lieben uns und sind hier, um zu geben. Wir werden sie niemals umbringen!“
Vorsichtshalber hat er die Missionare eine Zeit lang auf einer Insel versteckt und einmal hat man mir die alte Palme gezeigt, worunter sie damals gesessen haben. Als die Belgier dann einen furchtbaren Rachefeldzug begannen und alle Menschen erschlugen und in den Fluss warfen, gab es zwei rote Fahnen am Ufer, die das Gebiet von Esukafaya markierten. Dort kam damals niemand mehr um.
Im Fluss und im Dorf haben wir also die ganze Zeit davon profitiert, dass Esukafayas Geist auf dem Dorf und in dem Flusspferd ruhte, aber ein wirkliches Problem bestand darin, dass ein Häuptling nicht nur zur Verteidigung der Kinder gegen Krokodile, sondern auch zum Angriff gegen die Baengaleute da war, die ja immer Böses im Schilde führen.
Tata Samuel in Bombeka gehört zum Baengastamm und die Baengas haben das Krokodil. Und deshalb wurde er damals beschuldigt, ein Medium zum Krokodil zu sein. Wenn man, so wie ich, nur zur Volksschule gegangen ist, hat man hier immer wieder Probleme, das alles zu verstehen.
Kakokos Glaube gegen alle Magiertradition
Ich habe mir oft den Kopf zerbrochen, wie der alte Moikala, der ein lieber, freundlicher Nachbar und eifriger Kirchgänger und Medium gewesen war, und mit dem ich so oft zusammen Abendmahl gefeiert hatte, das wohl alles gleichzeitig auf die Reihe bekommen hat.
Sein Sohn, der Kakoko kam jetzt direkt aus dem Feld, um mich zu begrüßen. Ich freute mich, zu sehen, wie er, groß und freundlich, aufrechten Ganges und ohne zu hinken durch die Sonne auf mich zukam

Als der alte Moikala gestorben war, haben die Alten zu Kakoko gesagt:
„Du bist der rechtmäßige Erbe und musst die Fetische deines Vaters übernehmen, und wir werden dich unterrichten, Medium zu Esukafaya, dem Flusspferd zu werden. Zuletzt bekommst du die Weihe der Ahnen.“
Das war die höchste Ehre, die jemand in unserm Volk bekommen konnte. Kakoko hat ihnen aber nach einiger Zeit gesagt:
„Ich habe gerade die christliche Taufe in diesem Fluss bekommen, in dem Esukafaya lebt. Dort bin ich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft worden. Ich kann jetzt nicht die Last als Medium noch dazu tragen! Ein Mann kann nur einen Weg gehen!“
Darauf sagten die Alten:
„Du weißt, dass man gegen unsere Stammesgesetze nicht verstoßen darf. Bist du ungehorsam, bekommst du deine Strafe!“

Sie gingen weg und eine Woche später wurde Kakoko beim Fußballspiel das Knie so furchtbar eingetreten, dass es aussah, als ob es um neunzig Grad gedreht worden wäre. Das Gelenk wurde ganz schief und steif und als er später wieder auftreten konnte, musste er mehrere Jahre ganz furchtbar an einem Stock hinken.
Alle „Mediziner“ waren überzeugt: „Da ist nichts zu machen!“ Weil Kakoko so schlecht laufen konnte, hat er dann das Fischen angefangen. Und nach langer Zeit kamen die Alten wieder:
„Willst du jetzt gehorchen, oder das andere Bein auch noch aufs Spiel setzen?“
Kakoko wollte nicht gehorchen.
„Ich bin Christ und will da nicht mehr mitmachen!“
Kurz darauf war er mit dem kleinen Einbaumboot mitten auf dem Fluss unterwegs, als ein Gewitter mit viel Sturm ganz schnell herauf zog. Er paddelte Richtung Ufer, aber der Sturm und die Wellen waren schneller. Wasser schlug ins Boot und er paddelte in großer Angst. Da erschien das Flusspferd ganz dicht hinter ihm. Er erreichte noch eben das Ufergestrüpp und wollte sich aus dem Boot retten, da schlug ein Blitz in den Baum über ihm, und ein großer Ast brach ab und schlug ihn. Damals erzählte er mir:
„Als ich wieder zu mir kam, merkte ich, dass ich im Wasser, unter dem Ast lag und mich nicht bewegen konnte. Weit und breit war keine Hilfe zu erwarten, nur mein Gesicht sah aus dem Wasser heraus. In meinen schlimmen Schmerzen blieb mir nur noch das Beten. Dann ist nach vielen Stunden eine Frau mit ihrem Boot vorbeigekommen, hat mich weinen gehört, mich gesehen und Leute geholt, die mich unter dem riesigen Ast geborgen haben.“
Im Gesicht und überall am Körper hatte er Wunden. Die „Mediziner“ im Krankenhaus meinten, dass er die Wirbelsäule und den Oberschenkel an dem bis dahin intakten Bein gebrochen hätte. Da lag er mit seinem Glauben auf seinem Holzknüppelbett, schluckte eine Menge meiner Novalgin-Schmerztabletten und war froh, dass er noch lebendig war.
Aber nach einigen Wochen hörten wir von einem „Spezialisten“ im hundert Kilometer entfernten Boeke. Weil wir dort gerade eine Baustelle hatten, haben wir ihn mitsamt seinem Knüppelbett mit unsern Allrad-Pick-up mitgenommen. Einige Male mussten wir ihn runter nehmen und ein Stück tragen, denn es gab immer Stellen, an denen das Auto springen musste. Aber wir sind in Boeke angekommen und haben den Monganga-spécial gefunden.
Ich bin damals nicht geblieben, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie dieser Mensch dem armen Kakoko ein Seil um die Brust und an einen Baum band, dann ein anderes Seil an das kranke Bein und einen anderen Baum.
Das Unglück war bestimmt schon drei Wochen her und Knochen sind nach drei Tagen schon wieder ein wenig aneinander gewachsen. Der Monganga-spécial hat dann wohl einen Knüppel genommen und das Seil so lange gedreht, bis die beiden Knochen wieder auseinander knackten.
Dann hat er alles wieder an Ort und Stelle massiert, das Bein mit zwei Stöcken geschient und wir haben Kakoko wieder nach Ikau mitgenommen.
Er hat das wirklich überlebt und erzählte noch immer von Gottes Größe und Liebe. Der „Spezialist“ von Boeke hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und nach einiger Zeit konnte Kakoko wieder humpeln.
Jetzt, nach vielen Jahren, freute ich mich sehr, ihn gerade durch die Sonne gehen zu sehen. Ein Engländer hatte ihm einen Flug und die Behandlung in einem Krankenhaus im Ostkongo finanzieren können. Da hatte man in einer sehr komplizierten Operation sein eingetretenes Knie auch richten und wieder beweglich machen können.
Die Konga, wertvoll, wie ein Menschenleben
Die Währung war früher die Konga, ein sehr dicker Kupferring (bis fünf Kilogramm), den man bei Festen am Fußgelenk tragen konnte. Dann gab es noch die Longelo, die man zu besonderen Anlässen am Hals tragen konnte. Konga und Longelo hatten den Wert eines Menschenlebens und wurden als Brautpreis gegeben.
Auch bei Friedensverhandlungen, nach einem Mord, konnte man Kongas zum Zeichen der Reue und Wiedergutmachung geben. Dann, wenn die Blutrache beendet werden sollte, gab man eine oder mehrere Kongas, als Zeichen, dass man ein Menschenleben genommen hatte.
Deutschen fällt meistens bei dem Wort Brautpreis nur Kaufen und Bezahlen ein. Dagegen wehrten sich aber alle immer sehr.
„Ein Schwein oder einen Fisch kann man kaufen, aber keinen Menschen.“

Auf dem Höhepunkt einer Hochzeitsfeier gab dann der Vater dem Bräutigam Konga zum Zeichen:
„Das ist mein Sohn, der ist tüchtig und so vertrauenswürdig, dass ich ihm das Familienvermögen geben kann.“
Der Junge gab die Konga dann seiner Braut, als Zeichen:
„Das ist die Frau, der ich alles, was ich habe anvertraue.“
Sie gab sie dann ihrem Vater und sagte:
„Ich gehe jetzt zu diesen Leuten in die fremde Familie. Diese Konga soll dir ein Zeichen sein, dass ich immer zu dir und deiner Sippe gehören werde.“
Wenn die Frau dann später schwanger wurde, ging sie zur Geburt zu ihrer Mutter, und ihr Mann freite dann später, mit Kongas oder anderen Geschenken wieder um sie und das Baby. Auch, wenn die Frau meinte, von ihrem Mann schlecht behandelt zu werden, ging sie mit samt Kindern und Kochtöpfen zu ihrer Mama zurück und musste dann reumütig neu ausgelöst werden.
Ich bin mit den Maurern oft unterwegs gewesen um Schwiegermütter und -väter mit Geld und Gaben umzustimmen. Ich erfuhr dann oft Sachen, die ich meinen lieben Maurern nie zugetraut hätte. Es gab aber auch biestige Frauen, die ihre Rechte gnadenlos ausnutzten. Und das Problem Schwiegermutter scheint es international zu geben.
Ekutamas Unfruchtbarkeit
Ekutama war als Waise im Dorf aufgewachsen. Später wurde er zu einem unserer besten Schreiner ausgebildet. Er konnte weder Lesen oder Schreiben. Das habe ich aber erst später entdeckt. Ich hatte ihm zu Beginn seiner Laufbahn den Auftrag gegeben, von einem Kantholz vier Beine für einen 90 Zentimeter langen Tisch abzusägen und zu hobeln. Nach einer Stunde kam ich vorbei, und er war schon sehr weit gekommen. Als ich aber die Beine nachmaß, waren sie nur 70 Zentimeter lang. „Wirf sie weg und mach neue!“ forderte ich ihn auf.

Ekutama fing wieder von vorne an, und nach einiger Zeit maß ich wieder. Diesmal waren die Beine 65 Zentimeter kurz und mir platzte der Kragen.
„Das macht doch nichts“, sagte Ekutama, „der Tisch soll doch für den Samuel sein. Sieh mal wie kurz dessen Beine sind. Der braucht keinen hohen Tisch.“
Ich war noch am Luftholen, da kam Lolua vorbei und sagte:
„Woher soll der Ekutama denn wissen, wie lang 90 Zentimeter sind? Du musst ihm das anzeichnen!“
„Er hat einen wunderschönen neuen Zollstock von mir bekommen und einen dicken Bleistift, “ knurrte ich zurück.
„Aber er kennt doch keine Zahlen. Er ist nie in eine Schule gegangen, “ unterrichtete Lolua mich.
Die Runde ging wieder mal an Afrika. Aber später konnte Ekutama mit allerprimitivstem Werkzeug einen Baum fällen und einen wirklichen Schrank daraus machen. Weil er ja keine Eltern hatte, wurde ich dann schlicht und einfach sein Vater.
Dann kam die Zeit, in der er anfing mit der Elisa von nebenan anzubändeln. Ein großes Fest gab es nicht und die Sache mit dem Brautpreis ist wohl nie zu Ende geführt worden.

Ekutama rauchte auch Haschisch und manchmal trank er Schnäpse. Wir mussten oft zu Mama Bofande, seiner Schwiegermutter gehen. Er war nicht ungläubig und hatte sich auch einmal vor dem ganzen Dorf im Fluss taufen lassen. Seine Frau Elisa war sehr lieb und geduldig, aber ihre Familie hing noch sehr an alten Bräuchen.
Malaria verursachte Fehlgeburten und als Elisa nicht schwanger werden wollte, ging ihre Mama mit ihr zur Zauberin na Lilangi. Die feierte ihre Zeremonie, befestigte Nsingas (Zauberschnüre) an Elisas Hand- und Fußgelenke, gab eine Zaubermedizin und bald sah man an Elisas Bauch, dass sie von der Schande der Unfruchtbarkeit befreit würde, und die beiden bekamen einen schönen, kleinen, dicken, pechkohlrabenschwarzen André.

Als die Zauberin die Erfolgsmeldung hörte, schickte sie jemand mit einer ganz unverschämten Geldforderung. Elisa fand das unverschämt, zerschnitt selber die Nsingas und sagte: „Ich bezahle gar nichts!“ Worauf die Zauberin die ganze kleine Familie verflucht hat.
Nach sechs Jahren erzählte mir Ekutama die ganze Geschichte und bat mich um einen Kredit.
„Ich will die Rechnung der Zauberin bezahlen, damit wir wieder ein Baby bekommen können. Es ist nicht auszuhalten, wenn wir nur ein einziges Kind haben. Wir haben alles versucht. Bei allen Pastoren waren wir zum Gebet, aber der Zauber ist stärker als alle Beterei. Hilf mir doch bitte.“
„Willst du ab jetzt ganz ohne Gott leben?“, fragte ich. „Beten und Zaubern wird wohl nicht gleichzeitig gehen. Was wollt ihr sagen, wenn ihr jetzt noch ein Baby bekommt und euer André stirbt oder das neue Kind wird ungehorsam oder krank? Du kannst das Geld von mir haben, aber wenn Gott will, dass ihr nur ein Kind haben sollt, willst du dann über diese Hexe etwas gegen seinen Willen tun?“
Diese meine Bedenken stimmten Ekutama nachdenklich und er sagte:
„Ich will Tata Itaka und Mama Agnes fragen, die sind sehr gläubig und haben von 13 Kindern elf Kinder verloren. Vor allem Mama Agnes ist früher vom ganzen Dorf schwer angegriffen worden, weil sie ihre Kinder sterben ließ und sich geweigert hat, die Zaubermedizin zu nehmen. Die weiß mehr.“
Ein paar Tage später haben Ekutama und Elisa berichtet, dass Tata Itaka und Mama Agnes Haus voller Krach von allen Enkelkindern sei, die Gott ihnen geschenkt hatte. Sie sagten mir: „Wir haben uns entschieden, unser ganzes Leben Gott zu übergeben und ihn darüber bestimmen zu lassen. Gott soll auch zeigen, wie viele Kinder wir haben sollen.“ Es war ein schweres Opfer und sie hatten Tränen in den Augen.
Elisa hat sich dann auch taufen lassen, um zu zeigen, wem sie jetzt ganz und gar gehören wollte.
Aber ich werde nie das Bild vergessen, das ich später mal gesehen habe. Elisa saß im Schatten vor ihrer Lehmhütte, lächelte wie die Mona Lisa im Louvre und hatte an ihrer großen Brust ein kleines, kugelrundes, pechschwarzes Mädchen. Das haben sie Patience genannt, das heißt Geduld.
Chefs der Kirche, Tata Itaka u. Mama Agnes
Tata Itaka und Mama Agnes waren lange Zeit in Ikau unsere nächsten Nachbarn gewesen, und die Nachbarschaft hatte sich dann so entwickelte, dass wir später eher miteinander verwandt waren. Mama Agnes war die barfüßige Präsidentin der CADELU-Kirchenfrauen in einem Urwaldgebiet, das rund 1200 Kilometer lang war. Sie regierte nicht. Sie war eher eine Mutter der Nation.
Itaka war für die Kaffeefelder zuständig und Mama Agnes hatte große Maniok- und Maisfelder in denen für sie immer irgendwelche Untertanen arbeiteten. Sie hatte auch Bombilo, ihren eigenen Jäger. Denn ein Essen ohne Fleisch gilt als ungesund.
Wenn sie mit der Menge ihrer Enkelkinder auftrat, war sie doch mehr Königin als Präsidentin.
Itakas hatten auch richtige Möbel und Wellblechplatten auf dem Dach. Ich vergesse nie, wie Itaka Gott öffentlich in der Kirche für das Wellblechdach dankte, weil ihnen zweimal nachts in einem Gewitter ihr Palmblätterdach über dem Kopf eingestürzt war.
Wenn Itakas Besuch hatten, saß Mama Agnes am Kopfende des Tischs und Tata Itaka bediente.
„Ich bin der Mann der Mama Présidente“
schmunzelte er dann seine Entschuldigung. Es gibt sicher nur wenige Frauen auf der Welt, die so viel natürliche Mütterlichkeit und weibliches Selbstbewusstsein verkörpern wie Mama Agnes.

Sie war auch einmal bei uns in Deutschland. Da hat ihr längst nicht alles gefallen. Rolltreppen scheute sie wie die Pest, und das Verhalten einiger halbemanzipierten Frauen. „Iiihi, die wollen ja Männer werden“, hatte sie damals geschimpft.
Itaka war der offizielle Vertreter der CADELU-Kirche. Zudem war er einer der wenigen Freunde, die ich im Kongo hatte, mit denen ich mich unbegrenzt zanken konnte. Er hatte keine Probleme damit, mich einen Idioten zu nennen, wenn ich mich mal so benommen hatte. Stundenlang konnte er Geschichten von den alten Missionaren und von früher erzählen. Er vergaß aber auch nicht wie die Missionare ihn und Mama Agnes für Verwaltungsarbeit ausgewählt und gesegnet hatten.
Wenn Itaka nachmittags von der Arbeit im Kirchenbüro kam, machte er zuerst ein Feuer mit dem Gras, das er am Tag vorher mit dem langen Grasmesser abgehackt hatte. Wenn das Feuer brannte, hackte er neues Gras für den nächsten Tag ab. So konnte man an den Rauchsäulen über dem Dorf immer sehen, ob Itaka schon Feierabend hatte.
Er war sehr lang und total pechkohlrabenschwarz. Mama Agnes dagegen, war sehr hell. Wenn ich mal nach einer mehrtägigen Motorradtour zeigte, dass meine Arme brauner als Agnes Arme waren, lachte Itaka immer und meinte:
„Oh, wie seht ihr aus? Als Gott die Menschen lackiert hat, war seine Büchse fast leer geworden, und er wollte wegen euch beiden keine neue mehr aufmachen. Da hat er den Rest Farbe mit Wasser verdünnt, und ihr beiden seid nicht mehr ordentlich geraten, nicht richtig schwarz und auch nicht sauber weiß.“
Er war auch mal in Deutschland. „Die Deutschen sind so verrückt, die lassen die Autos in Häusern wohnen“, stellte er damals fest. Als die alten Missionare 1960 in einer Nacht plötzlich geflüchtet waren, zogen Tata Itaka und Tata Kole, absolut unerfahren, durch das ganze große Missionsgebiet und vereinten die vielen Urwaldgemeinden, in drei ganz unterschiedlichen Stämmen zu einer Kirche, zur CADELU, der Gemeinschaft der vereinigten Kirchengemeinden am Lulongafluß.
Dazu waren mehr, als nur diplomatische Sprüche nötig gewesen. Er erzählte:
„Als wir damals durch den Dschungel nach Boso-Mabale gezogen sind, haben wir solche Angst ausgestanden. Es war schon dunkel geworden und wir standen im Sumpfwald bis zur Brust im Wasser – unser Gepäck und die Gewehre auf dem Kopf. Da kamen die Elefanten und wir haben da gestanden und nicht mehr gewagt zu atmen.“
Man macht sich ja meistens nur wenige Gedanken darüber, wie mit absolut unvorbereiteten Menschen aus ausländischen Missionsstationen, selbstständige, indigene Kirchen werden konnten.